Für insgesamt fünf zentrale Punkte des Widerrufs von Lebensversicherungen fällte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil, welches von Verbraucherschützern überwiegend freudig aufgenommen wurde. Alle geklärten Fragen beschäftigen sich damit, wann und wie lange Versicherungsnehmer ihr Rücktrittsrecht in Anspruch nehmen können und welche Auszahlung sie bei einem Spätrücktritt vom Versicherungsunternehmen verlangen können. Wir klären auf, wie der EuGH in diesen Punkten geurteilt hat.
Europarechtliche Klärung von Gerichten verlangt
Sowohl das Landgericht Salzburg als auch das Handelsgericht Wien hatten verschiedene Fragen mit der Bitte um europarechtliche Klärung an den EuGH herangetragen. Die nationalen Gerichte pausierten damit Verfahren, die gegen österreichische Versicherungsunternehmen geführt wurden. Nun hat der EuGH eine Entscheidung gefällt und sich zu den zentralen Punkten um den Widerruf von Lebensversicherungen und das damit verbundene "ewige Rücktrittsrecht" geäußert.
Im Detail drehen sich die Verfahren um die Richtlinien, die bis vor einigen Jahren noch den Rücktritt von einem Versicherungsvertrag geregelt haben. Diese Regelungen sind Dreh- und Angelpunkt mehrerer Verfahren geworden, da die Verträge diverser Versicherungsunternehmen aufgrund von fehlerhaften oder sogar fehlenden Widerrufsbelehrungen aufgefallen waren. In den Augen von Verbraucherschützern machen diese Fehler einen ewigen Rücktritt möglich, da die Rücktrittsfrist nie offiziell zu laufen begonnen hat.
EuGH fällt Urteil zu diesen fünf Punkten
Urteile zu insgesamt fünf zentralen Fragen wurden vom EuGH gefällt. Verbraucherschützer sehen die Entscheidungen der Richter als positiv für Verbraucher. So kann das Urteil des EuGH dazu führen, dass Versicherungsnehmer, die fehlerhaft oder gar nicht über ihre Rücktritts- und Widerrufsrechte aufgeklärt wurden, einfacher den Widerruf ihres Versicherungsvertrags durchsetzen könnten.
So entschied das EuGH über die zentralen Fragen zum Rücktrittsrecht von Lebensversicherungen:
#1: Rücktrittsrecht bei Formvorschrift
Versicherungsunternehmen verlangen in der Regel in ihren Verträgen, dass ein Rücktritt schriftlich erfolgen muss. Der EuGH hatte nun die Frage zu klären, ob Versicherungsnehmer ein ewiges Rücktrittsrecht haben, wenn es nationale Vorschriften gibt, die besagen, dass ein Rücktritt auch formfrei möglich ist.
Die Richter fällten das Urteil, dass die Rücktrittsfrist auch dann mit Vertragsabschluss zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in seinen Verträgen eine schriftliche Form verlangt, obwohl nationale Vorschriften einen formfreien Rücktritt ermöglichen. Allerdings gilt das Urteil nur, wenn der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht unter denselben Bedingungen ausüben kann.
#2: Rücktrittsrecht bei anderweitiger Kenntnisnahme
In vielen Verträgen finden sich gar keine Informationen zum Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers. Die Versicherungsunternehmen antworten auf diese Anschuldigung häufig, dass Verbraucher anderweitig über das Rücktrittsrecht informiert wurden und somit über die Option Bescheid wussten.
Das Gericht entschied in diesem Punkt, dass die Rücktrittsfrist nie zu laufen begonnen hat, wenn der Versicherungsnehmer im Vertrag nicht über die Option zum Rücktritt belehrt worden ist. Würde man dies nämlich annehmen, wäre der Versicherer nicht ausreichend motiviert, seinen Verpflichtungen zur ordnungsgemäßen Belehrung nachzukommen. Diese Einschätzung gilt auch dann, wenn der Verbraucher auf anderem Wege von seinem Rücktrittsrecht erfahren hat.
Insofern stellt das Gericht die fehlerhafte Information über ein Rücktrittsrecht auf dieselbe Stufe, wie wenn keine Informationen über ein Rücktrittsrecht erfolgt sind.
#3: Rücktrittsrecht nach Auszahlung des Rückkaufwerts
Kündigen Versicherungsnehmer ihren Vertrag ordentlich, steht ihnen lediglich der Rückkaufswert ihrer Versicherungspolice zu. Da hier verschiedene Gebühren abgezogen werden, liegt dieser Betrag meist unter der Summe der eingezahlten Prämien. Versicherungsunternehmen wehren sich in der Regel dagegen, einen Rücktritt nach einer Kündigung noch zu akzeptieren.
Wurde der Versicherungsnehmer im Vertrag fehlerhaft oder gar nicht über sein Rücktrittsrecht informiert, dann hat die Rücktrittsfrist nie zu laufen begonnen – somit ist auch nach einer Kündigung noch eine Rückabwicklung des Vertrags möglich. Selbst bei einer bereits ausgezahlten Summe in Höhe des Rückkaufswerts der Police können Verbraucher noch eine weitere Zahlung von ihrer Versicherung verlangen.
#4: Zahlungsanspruch nach Rücktritt
In Österreich herrscht beispielsweise auf nationaler Ebene die Regelung, dass ein Versicherungsunternehmen im Falle eines Rücktritts nur den Rückkaufswert der Versicherungspolice auszahlen muss. Die nationalen Gerichte forderten daraufhin eine europarechtliche Beantwortung der Frage, ob eine Versicherung dazu verpflichtet werden kann, alle eingezahlten Prämien auszubezahlen.
Das Gericht sieht hier eine Diskrepanz zwischen den nationalen Regelungen und den Vorgaben aus den Richtlinien der Europäischen Union. Damit kann die Versicherung auch dazu verpflichtet werden, weit mehr als nur den Rückkaufswert der Versicherung auszuzahlen, sollte der Rücktritt begründet sein.
#5: Verjährung von Vergütungszinsen
Versicherungsnehmer, die von ihrem Vertrag zurücktreten möchten, haben Anspruch auf die Zinsgewinne, welche vom Versicherungsunternehmen mit den eingezahlten Prämien erwirtschaftet wurde. Der EuGH musste nun entscheiden, ob die nationale Regelung greift, dass diese Ansprüche innerhalb von drei Jahren verjähren.
Dem stimmte der EuGH zu und entschied, dass eine dreijährige Verjährungsfrist bei Vorhandensein von entsprechenden nationalen Regelungen greift. Doch auch hier gilt wieder der Zusatz, dass dies nur gilt, wenn der Versicherungsnehmer in der Ausübung seines Rücktrittsrechts dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Rücktritt vs. Kündigung
Im Falle eines erfolgreichen Rücktritts stehen dem Versicherungsnehmer alle bereits gezahlten Prämien über die gesamte Vertragslaufzeit zu. Der Vertrag wird nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) rückabgewickelt. Zusätzlich kann der Versicherungsnehmer aufgrund der Rückabwicklung noch einen Nutzungsersatz von der Versicherung verlangen, da diese mit dem eingezahlten Geld wiederum Gewinne erwirtschaftet hatte, welche ebenfalls dem Versicherungsnehmer zustehen. Im Falle einer Kündigung hat der Versicherungsnehmer dagegen nur Anspruch auf die Auszahlung des Rückkaufwerts seiner Police, da sich die Kündigung nach den speziellen Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) richtet.
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