Seit der Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) im Jahr 2008 müssen Lebensversicherer ihre Kunden an den Bewertungsreserven aus Geldanlagen beteiligen. Das sind die Buchgewinne aus den Geldanlagen, die der Versicherer für die Versicherungsnehmer verwaltet. Nun haben manche Versicherer aber von Zeit zu Zeit die Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven auch gekürzt. Dagegen wandte sich der Bund der Versicherten und klagte gegen die Victoria Versicherung, heute ein Teil der ERGO Versicherungen. Der Bund der Versicherten musste eine Niederlage vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hinnehmen. Wir erklären Ihnen, was das Urteil für Ihre Lebensversicherung bedeutet.
Lebensversicherer kürzt seinen Kunden die Bewertungsreserve: Die Klage folgt
Ein Kunde der Victoria Lebensversicherung hatte im Juli 2014 noch eine Standmitteilung über den Wert seiner Lebensversicherung erhalten. Darin hieß es, er würde bei Ablauf des Vertrages – es waren nur noch zwei Monate – an der Bewertungsreserve des Versicherers in Höhe von 2.821,35 Euro beteiligt. Doch als es dann soweit war, schrumpfte die Bewertungsreserve auf mickrige 148,95 Euro zusammen. Der Kunde war verärgert und wollte das so nicht hinnehmen. Er wandte sich an den Bund der Versicherten. Der Verband, der die Interessen der Versicherungsnehmer vertritt, ließ sich die Rechte von dem Kunden abtreten und klagte gegen die Victoria Lebensversicherung. Ziel der Klage war es, gerichtlich klären zu lassen, ob die Versicherer das Recht haben, die Beteiligung des Versicherungsnehmers an der Bewertungsreserven zu kürzen.
Der Hintergrund der Klage
In einer Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht hatte der Bund der Versicherten im Jahr 2005 erstritten, dass Versicherungsnehmer auch an den Bewertungsreserven beteiligt werden müssen, die die Versicherung mit der Investition der Kundengelder erzielt. Mit der Einführung des Versicherungsvertragsgesetzes 2008 mussten die Versicherer nun die Kunden an den Buchwerten der Geldanlagen beteiligen. Den Kunden stand demnach ein Anteil von 50 % zu, die anderen 50 % standen den Unternehmen und deren Anteilseignern zu.
2014 wurde diese Regelung mit dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) nicht mehr ganz so starr gehalten. Da die Versicherer durch die Niedrigzinsphase größere Schwierigkeiten bekamen, die garantierten Zinsen am Kapitalmarkt auch zu erwirtschaften, wurde es den Versicherern erlaubt, die Beteiligung an der Bewertungsreserve immer dann zu kürzen, wenn ansonsten die Garantiezusagen an die restlichen Versicherten nicht gesichert wären.
Der Bund der Versicherten (BdV) sieht in dieser Regelung allerdings einen Verfassungsbruch.
„Aus unserer Sicht ist es verfassungsrechtlich nicht korrekt, die Beteiligung an den Bewertungsreserven mit diesem Gesetz zu kürzen.“
Daher entschloss sich der Bund der Versicherten auch, sich die Rechte des Kunden der Victoria abtreten zu lassen und gegen die Kürzung der Bewertungsreserven zu klagen.
Was ist eine Bewertungsreserve und warum schwankt ihr Wert?
Eine Bewertungsreserve ist der Wert, den man errechnen kann, wenn man den Anschaffungspreis einer Investition von dem Marktwert der Investition zu einem bestimmten Zeitpunkt abzieht. Man kann also sagen, dass es ein in den Büchern vermerkter Wert einer Geldanlage ist, der aber noch nicht verwirklicht ist. Die Versicherer legen die Beiträge ihrer Versicherten auch auf dem Kapitalmarkt an. Manche dieser Anlagen sind kurzfristige Investitionen, manche der Geldanlagen werden erst nach längerer Laufzeit fällig.
Wenn also die Versicherung einen Teil der Versicherten-Beiträge in Aktien investiert, dann hat sie diese an einem bestimmten Tag zum Preis von vielleicht 100 Euro pro Stück gekauft. Der Wert von 100 Euro stellt den Buchwert dar. Zum Tag der Ermittlung des Wertes der Bewertungsreserve wird die Aktie aber vielleicht mit 115 Euro pro Stück bewertet. Der Wert von 115 Euro stellt den Marktwert dar. Die Bewertungsreserve ist also der Wert, der sich aus Marktwert minus Buchwert ergibt – hier also 15 Euro, der auch als Buchgewinn bezeichnet wird.
Fällt dagegen der Wert der Aktie um 15 unter den Buchpreis, so betrüge die Bewertungsreserve minus 15 Euro. Die Bewertungsreserve ist allerdings ein Wert, den es nur in der Theorie oder in den Büchern gibt, solange, bis die Geldanlage fällig und der Gewinn oder Verlust real wird.
Der Gesetzgeber hat mit der Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes jedoch festgelegt, dass alle Versicherten auch an den Bewertungsreserven beteiligt werden sollen, damit es zu einer größeren Verteilungsgerechtigkeit kommt. Die Versicherer kaufen ja nicht für jeden Kunden einzelne Anlagen, die genau passend zum jeweiligen Vertragsende auslaufen. Bei klassischen Verträgen wird der allergrößte Teil der Sparbeiträge zudem sehr langfristig investiert. Gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase führt das zu hohen Buchgewinnen. Festverzinsliche Anlagen lässt der Versicherer natürlich so lange laufen, wie möglich, weil er das Geld anschließend viel schlechter anlegen kann. Die Beteiligung an den Bewertungsreserven sollte dann dazu führen, dass der Versicherungsnehmer auch an diesen noch nicht realisierten Buchgewinnen angemessen beteiligt wird.
Bei Ablauf oder Kündigung des Versicherungsvertrages sollen die Kunden nicht nur die bereits realisierten Gewinne aus der Anlage ihrer Beiträge bekommen, sondern auch angemessen an den Buchgewinnen beteiligt werden. Fällt dagegen der Wert der Aktie um 15 unter den Buchpreis, so betrüge die Bewertungsreserve minus 15 Euro. Auch an den Verlusten einer Geldanlage würde also der Kunde beteiligt werden.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Höhe einer Bewertungsreserve über die Jahre durchaus schwanken kann, je nachdem, wie sich der Kapitalmarkt entwickelt.
Geringere Bewertungsreserve durch Gesetzesänderung
Nicht nur die Schwankungen am Kapitalmarkt können dazu führen, dass eine Bewertungsreserve für den einzelnen Kunden höher oder auch geringer ausfallen kann. In dem jetzt vom BGH entschiedenen Fall hatte die Victoria Lebensversicherung die Beteiligung des Kunden an der Bewertungsreserve gekürzt, weil sie es durch eine Gesetzesänderung durfte. Im Jahr 2014 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die es den Versicherungen erlaubte, die Beteiligung zu kürzen, falls die Versicherer dieses Geld benötigen, um anderen Versicherten vertraglich zugesicherte Ansprüche auszuzahlen. Im § 153, Abschnitt (3) des Versicherungsvertragsgesetzes heißt es dazu:
(3) Der Versicherer hat die Bewertungsreserven jährlich neu zu ermitteln und nach einem verursachungsorientierten Verfahren rechnerisch zuzuordnen. 2Bei der Beendigung des Vertrags wird der für diesen Zeitpunkt zu ermittelnde Betrag zur Hälfte zugeteilt und an den Versicherungsnehmer ausgezahlt; eine frühere Zuteilung kann vereinbart werden. 3Aufsichtsrechtliche Regelungen zur Sicherstellung der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungen, insbesondere die §§ 89, 124 Absatz 1, § 139 Absatz 3 und 4 und die §§ 140 sowie 214 des Versicherungsaufsichtsgesetzes bleiben unberührt.
Das Urteil des BGH zu Bewertungsreserven
Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte, dass die Versicherung das hier zur Geltung kommende Gesetz auch richtig angewendet habe (AZ.IV ZR 201/17). Die Kürzung der Bewertungsreserve war demnach rechtens. Insofern hat der Kunde und in der Abtretung dann der Verband hier eine Niederlage einstecken müssen. Das Gericht hat jedoch eine Einschränkung gemacht. Die Versicherer müssen nachweisen, dass die Reserve gekürzt wurde, weil es einen Sicherungsbedarf des Versicherungsunternehmens gibt. Daher hat der BGH den Fall zur Klärung dieses Umstandes zurück an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. In der Pressemitteilung des BGH heißt es daher wie folgt:
Gleichwohl hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat nämlich keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage getroffen, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten bestanden.
Was das Urteil für Ihren Lebensversicherungsvertrag bedeutet
Hatte das Bundesverfassungsgericht 2005 noch festgestellt, dass den Versicherten eine Beteiligung an den Bewertungsreserven zusteht, so hat der Bundesgerichtshof dieses Recht nur wieder eingeschränkt. Denn was das Urteil eigentlich bedeutet, ist, dass der Versicherer das Recht eines Kunden beschneiden darf, um das Recht oder die Ansprüche eines anderen Kunden zu erfüllen – nämlich die hohen Garantiezinsen alter, schon länger laufender Verträge.
Des Weiteren bedeutet das Urteil für Ihre Lebensversicherung, dass auch Ihnen eine Kürzung der Beteiligung an den Bewertungsreserven drohen kann. Da es die Lebensversicherer durch die Niedrigzinsphase schwer haben, die einmal versprochenen Zinsen am Kapitalmarkt auch zu erwirtschaften, geraten auch sie immer mehr unter Druck. Auch das ist ein Grund, warum sich immer mehr Versicherungsgesellschaften aus dem Geschäft mit Lebensversicherungen zurückziehen oder gar ihre Bestände an Abwicklungsgesellschaften verkaufen. Dieses Phänomen wird vielfach als Run-off bezeichnet, abgekürzt für das englische Wort für Abwicklungsgesellschaft, run-off company.
Es bleibt aber abzuwarten, wie das Landgericht Düsseldorf entscheiden wird, ob die Kürzung der Bewertungsreserve in diesem Fall rechtens war und auf welche Berechnung der Versicherung sich diese Kürzung stützt.
Insgesamt kann der Versicherungslaie nicht beurteilen, ob die Kürzung rechtens war. Denn wie diese Kürzung von der jeweiligen Versicherungsgesellschaft be- oder errechnet wird, ist selbst für Versicherungsmathematiker nur schwer nachzuvollziehen. Das liegt nicht daran, dass diese Gutachter weniger kompetent sind, sondern daran, dass die Versicherungsgesellschaften nicht mitteilen, wie genau sie zu einem bestimmten Wert gekommen sind. Denn oftmals müssten sie dann Geschäftsgeheimnisse offenbaren, die konkurrierende Versicherungen nutzen könnten.
Unserer Ansicht nach wird das Urteil eher nicht dazu führen, dass der Versicherte eine klare Darstellung darüber erhält, warum die Beteiligung an der Bewertungsreserve gekürzt wird. Wir schätzen vielmehr, dass sich der Trend zu einer Kürzung der Beteiligung stärker ausweiten wird. Denn die Versicherer haben große Schwierigkeiten auch in Zukunft so hohe Zinserträge mit den Kapitalanlagen zu erwirtschaften, dass die einmal gemachten Garantien gehalten werden können. Zumal die Praxis der Gewinnabführung an Muttergesellschaften weiter betrieben wird. Zwar dürfen die Versicherer Gewinne nur dann an die Muttergesellschaft abführen, wenn die Leistungen an die Versicherten dadurch nicht gefährdet sind. Es gibt aber trotzdem viele Unternehmen, die Gewinne abführen.
Wir behalten die Entwicklung sehr kritisch im Auge. Denn wenn die Versicherer schon die Bewertungsreserven kürzen oder gar komplett streichen müssen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, ist der nächste Schritt die Kürzung der Garantien.
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Der Weg aus dem Schlamassel
Wenn auch Ihnen Zweifel kommen, dass Ihre Lebensversicherung noch eine für Sie passende Geldanlage ist, dann sollten Sie sich schlau machen. Ihnen als Kunde einer Lebensversicherung stehen mehrere Möglichkeiten offen. Sie können die Lebensversicherung beitragsfrei stellen und das normalerweise in die Versicherung investierte Geld in eine andere Geldanlage stecken. Der Vertrag würde dabei weiter bestehen bleiben, es würde nur kein Geld über den bereits angesparten Betrag hinaus mehr angespart werden.
Ebenfalls könnten Sie die Lebensversicherung kündigen. Die ist jedoch die finanziell am wenigsten attraktive Variante. Denn bei einer Kündigung bekommen Sie lediglich den Rückkaufswert ausgezahlt. Dieser liegt bei einer noch nicht so lange laufenden Lebensversicherung sogar unter den eingezahlten Beiträgen.
Eine dritte und wesentlich lukrativere Variante ist die Rückabwicklung. Hierbei bekommt der Kunde nicht nur seine angesparten Beiträge zurück, sondern auch alle Abschluss- und Verwaltungskosten und die aus den Beiträgen erwirtschafteten Zinsen ausgezahlt. Lediglich für die Absicherung im Todesfall darf der Versicherer einen Betrag einbehalten.
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Wie wird die Rückabwicklung möglich?
Der Abschluss einer Lebensversicherung ist der Abschluss eines Vertrages. Beim Abschluss des Vertrages sieht das Gesetz jedoch eine Zeit vor, in der sich der Verbraucher noch einmal klar werden kann, ob er diesen Vertrag wirklich abschließen wollte. Dem Verbraucher wird daher eine Frist eingeräumt, während der er einen Vertrag auch wieder lösen kann. Dies nennt man Widerrufsrecht, im Falle der Lebensversicherung spricht man von Widerspruchsrecht.
Da die Versicherungen in der Zeit von 1995 und 2007 die Informationen zu diesem Widerspruchsrecht oftmals nicht nach dem gesetzlichen Muster gestaltet haben, weisen diese Informationen Lücken auf oder unterrichten den Verbraucher nur unzureichend über seine Rechte. Eine Widerspruchsbelehrung, die aber nicht korrekt informiert, bewirkt, dass das Widerspruchsrecht niemals abgelaufen ist. Für den Kunden bedeutet es, dass er noch immer seinem Lebensversicherungsvertrag widersprechen kann und somit den Vertrag rückabwickeln kann.
Die erfolgreiche Rückabwicklung führt dazu, dass dem Kunden seine kompletten Beiträge und die daraus erwirtschafteten Zinsen ausgezahlt werden. Für die versicherte Todesfallleistung darf die Versicherung einen gewissen Betrag einbehalten. Schließlich hatte der Kunde ja auch den Versicherungsschutz dafür bis zum Zeitpunkt der Rückabwicklung genossen.
Wir haben zusammen mit dem Versicherungsmathematiker Professor Dr. Philip Schade einen Sofort-Rechner entwickelt, mit dem Sie eine erste Vorstellung bekommen, wie viel Geld Ihnen bei einer Rückabwicklung zustehen würde.