Diskriminierung wegen Behinderung am Arbeitsplatz
- Die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz ist ein massives Problem in Deutschland.
- Zwar stellen sie eine Personengruppe dar, die arbeitsrechtlich besonderen Schutz genießt.
- Doch zu Benachteiligungen am Arbeitsplatz kommt es trotzdem immer wieder.
- Einem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zufolge sind Diskriminierungen vor allem beim Einstieg ins Arbeitsleben häufig, sodass Menschen mit Behinderung etwa oft nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden.
- Lesen Sie hier, mit welchen besonderen Rechten das Gesetz behinderte bzw. schwerbehinderte Arbeitnehmer ausstattet und wie Sie diese nutzen können, um sich mit unserer Hilfe gegen Benachteiligungen am Arbeitsplatz zu wehren.
Der Begriff der Behinderung im rechtlichen Sinn
Die deutsche Sozialgesetzgebung beschreibt die Kriterien für das Vorliegen einer Behinderung wie folgt:
Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung […] liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. (§ 2, Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch)
Dabei ist unerheblich, ob die Behinderung von Geburt an bestand oder erst später durch einen Unfall oder eine Krankheit verursacht wurde. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls kann durch ein ärztliches Gutachten ermittelt werden, ob bei einem Menschen eine Behinderung vorliegt oder nicht. Der rechtlichen Definition zufolge ist für das Vorliegen einer Behinderung die zeitliche Komponente entscheidend. Wird von ärztlicher Seite bestätigt, dass die Mobilität, die kognitiven Fähigkeiten oder die seelische Gesundheit des Betroffenen dauerhaft – also mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate – eingeschränkt sein wird und für das jeweilige Lebensalter des Betroffenen untypisch ist, wird von einer Behinderung ausgegangen.
Unterscheidung zwischen dem Vorliegen einer Behinderung und einer Schwerbehinderung
Im Arbeitsleben gibt es spezielle Leistungen und Rechte zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile, die ausschließlich für schwerbehinderte Menschen gelten. Damit Betroffene diese Rechte in Anspruch nehmen können, ist die Feststellung des Behinderungsgrades notwendig. Denn Menschen mit schweren Behinderungen werden durch das Neunte Buch Sozialgesetzbuch in besonderer Weise geschützt. Somit soll ihre Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens gefördert werden.
Die Schwere der Beeinträchtigung eines Menschen drückt sich aus rechtlicher Sicht durch den Grad der Behinderung aus. Dabei erfolgt die Abstufung auf einer Skala von 20 bis 100 in Zehnergraden. Als Behinderung gilt eine Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung dann, wenn sie mindestens einen Grad der Behinderung von 20 bedingt. Wenn der Wert 50 übersteigt, so wird davon ausgegangen, dass Menschen bei der Teilhabe am Leben sowie in der Gesellschaft stark eingeschränkt werden. Deshalb wird ihnen die Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt, sofern ihr Wohn- und gewöhnlicher Aufenthaltsort Deutschland ist oder sie sich dort in einem Beschäftigungsverhältnis befinden. Menschen, bei denen ein Behinderungsgrad von mehr als 30 und weniger als 50 festgestellt wurde, können sich durch einen Antrag mit schwerbehinderten Menschen gleichstellen lassen.
Welche Gesetze schützen Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung am Arbeitsplatz?
Verschiedene Gesetze sollen gewährleisten, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung nicht erschwert wird, und sie im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz dieselben Chancen haben wie Mitbewerber oder Kollegen. Die überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquote von schwerbehinderten Menschen verdeutlicht, wie wichtig der besondere arbeitsrechtliche Schutz dieser Personengruppe ist.
Bereits in Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) steht, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Zudem haben Menschen mit Behinderung laut der UN-Menschenrechtskonvention das Recht, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit zu verdienen. Dafür, dass dies eingehalten wird, sollen in Deutschland vor allem die Vorgaben aus dem 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, sorgen. Aber auch der dritte Teil des Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ist für den Diskriminierungsschutz von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz relevant. Dieser Teil des Gesetzes bezieht sich jedoch lediglich auf Menschen mit einer schweren Behinderung.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet Arbeitgebern jegliche sachgrundlose mittelbare sowie unmittelbare Benachteiligung, die wegen Merkmalen wie zum Beispiel ethnische Herkunft, Religion, Alter, Behinderung oder Geschlecht geschieht. Das Gesetz soll Schutz vor Diskriminierung in allen Bereichen des Arbeitslebens gewährleisten. Dieser Schutz reicht von der Bewerbung über Einstellung, Beförderung und Arbeitsbedingungen (etwa Höhe des Einkommens, Arbeitszeit, Urlaub) bis zur Kündigung sowie betrieblichen Altersvorsorge. Auf der einen Seite bestimmt das AGG Regeln und Vorschriften, an die sich Arbeitgeber halten müssen und auf der anderen Seite die Rechte der Beschäftigten.
Welche Rechte und Ansprüche sieht das AGG bei Benachteiligung vor?
Arbeitnehmer mit Behinderung haben bei Diskriminierung ein Beschwerderecht. Ist aufgrund einer Diskriminierung ein finanzieller Schaden entstanden, so muss der Arbeitgeber diesen nach den Bestimmungen des AGG ersetzen. Dabei ist Voraussetzung, dass der Arbeitgeber die Benachteiligung selbst verursacht hat. Auch wenn es sich um keinen Vermögensschaden handelt, steht dem Betroffenen als Entschädigung ein Geldbetrag zu. Über die Höhe dieses Betrags entscheidet das zuständige Arbeitsgericht. Hierbei muss die Diskriminierung nicht direkt von dem Arbeitgeber selbst ausgegangen sein, sondern ihm kann unter bestimmten Voraussetzungen sogar das benachteiligende Verhalten seiner Arbeitnehmer zugerechnet werden.
Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch
Der dritte Teil des SGB IX enthält "Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen" und betrifft in weiten Teilen die Integration von Menschen mit Behinderung in das Arbeitsleben. Für den Schutz vor Diskriminierungen ist vor allem §164 relevant. Er regelt die Pflichten von Arbeitgebern sowie die Rechte von schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Menschen im Beschäftigungsbereich. Dazu gehört beispielsweise der Anspruch auf einen barrierefreien Arbeitsplatz oder die bevorzugte Berücksichtigung von schwerbehinderten Menschen bei Fördermaßnahmen. §164 Abs. 2 enthält zudem ein Diskriminierungsverbot, wobei im Einzelnen die Regelungen des AGG gelten.
Das SGB IX gibt außerdem vor, dass Arbeitgeber ab einer Betriebsgröße von 20 Arbeitsplätzen zur Beschäftigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze verpflichtet sind (§ 154 SGB IX). Anderenfalls müssen Sie eine Ausgleichsabgabe entrichten.
Formen der Diskriminierung wegen einer Behinderung am Arbeitsplatz
Eine Benachteiligung wegen einer Behinderung liegt vor, wenn ein Bewerber oder Arbeitnehmer mit Behinderung wegen seiner Beeinträchtigung schlechter behandelt wird als andere (mit ihm vergleichbare Stellenbewerber oder Arbeitnehmer) und es dafür keinen triftigen sachlichen Grund gibt. Was als "sachlicher Grund" angesehen werden kann, ist häufig umstritten. Denkbar ist etwa die Ablehnung einer Bewerbung eines körperlich behinderten Menschen um eine Stelle, bei der es ausdrücklich auf körperliche Fitness ankommt.
Diskriminierung wegen einer Behinderung am Arbeitsplatz kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Einem Bericht der ADS des Bundes von 2017 zufolge, bei dem die Beratungsanfragen an die ADS im Zeitraum von 2013 bis 2016 ausgewertet wurden, kommt es am häufigsten beim Einstieg ins Arbeitsleben zu Diskriminierungen. Aber auch in Hinblick auf Beschäftigungsverhältnisse oder deren Beendigung kam es laut ADS zu Diskriminierungserfahrungen. Im Folgenden bieten wir einen Überblick.
Diskriminierung bei der Einstellung
Grundsätzlich entscheiden Bewerber selbst, ob sie ihre Behinderung offenlegen, oder nicht. Die Frage eines Arbeitgebers nach einer Behinderung im Vorstellungsgespräch ist unzulässig und muss demnach nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden.Wenn sie jedoch möchten, dass ihre Eigenschaft als behinderter oder schwerbehinderter Mensch bei der Bewerbung berücksichtigt wird, müssen Betroffene dies im Bewerbungsschreiben offenlegen. Denn in Bezug auf Bewerbungen bestehen für Menschen mit Behinderungen spezielle Regelungen im Sozialrecht, die zu Pflichten für Arbeitgeber führen.
Beispielsweise bei öffentlichen Arbeitgebern gilt laut §165 SGB IX: Bewirbt sich ein Arbeitsuchender mit schwerer Behinderung auf eine Stelle, ist der öffentliche Arbeitgeber verpflichtet, ihn zum Bewerbungsgespräch einzuladen, wenn die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlt. Wenn es zu keiner Einladung kommt und der Arbeitgeber die Vermutung nicht widerlegen kann, dass darin eine Diskriminierung des Bewerbers auf Grund seiner Behinderung liegt, steht Letzterem eine Entschädigung zu.
Oft wird Menschen mit schwerer Behinderung dann jedoch offen mitgeteilt, sie seien nur eingeladen worden, um die formalen Vorschriften einzuhalten. Viele derjenigen, die sich an die ADS wandten, mussten bei Bewerbungen zudem die Erfahrung machen, trotz geeigneter Qualifikation nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden und führten dies jeweils auf ihre Behinderung zurück.
Entschädigung wegen Diskriminierung bei der Einstellung
Auch in Bezug auf den Arbeitsvertrag kann es zur Diskriminierung wegen einer Behinderung kommen. So auch in einem Fall, der vor dem Arbeitsgericht Hamburg (ArbG Hamburg, Urteil vom 27. Juni 2017, 20 Ca 22/17) verhandelt wurde. Ein Arbeitsuchender mit einer schweren Behinderung hatte sich auf eine Stelle beworben und auch bereits das Vorstellungsgespräch sowie drei Probearbeitstage erfolgreich absolviert.
Der Arbeitsvertrag, der ihm im Anschluss zur Unterschrift vorgelegt wurde, enthielt jedoch eine Klausel, wonach er versichern sollte, nicht den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes zu unterliegen. Als der Mann daraufhin seine Schwerbehinderung offenlegte und eine Änderung des Vertrages verlangte, sollte er nicht mehr eingestellt werden.
Zur Entscheidung des Gerichts
Das ArbG entschied, dass die Vertragsklausel eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung darstellt und dass die tätigkeitsneutrale Frage nach einer Schwerbehinderung bei einer Einstellung unzulässig ist. Das Gericht sah schwerbehinderte Bewerber in einer ungünstigeren Situation als nicht behinderte Bewerber. Denn erstere würden durch die Klausel gezwungen, ihre Behinderung entweder zu verschweigen oder eine Änderung des Vertrages zu verlangen. Somit sprach das ArbG dem Bewerber eine Entschädigung von 5.400 Euro zu.
Nicht angemessene Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die jeweilige Arbeitsstätte so zu gestalten, dass sie den Ansprüchen ihrer schwerbehinderten Mitarbeiter gerecht wird, ergibt sich unter anderem aus § 164 Abs. 4 SGB IX. Dazu gehört neben Betriebsanlagen, Maschinen und Geräten auch eine angemessene Arbeitszeit. Zudem sieht das Gesetz vor, dass der Arbeitsplatz mit den "erforderlichen technischen Arbeitshilfen" ausgestattet wird.
Nicht immer halten sich Arbeitgeber jedoch an die Gesetzesvorgabe. So auch im Fall eines stark höreingeschränkten Briefzustellers. Er konnte aufgrund seiner schweren Behinderung das Programmangebot, das von seinem Arbeitgeber auf Monitoren am Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt wurde, nicht in vollem Umfang nutzen. Somit klagte der Arbeitnehmer und gab an, er werde aufgrund seiner andauernden gesundheitlichen Einschränkung ungünstiger behandelt als seine Kollegen. Zusätzlich zu einer Entschädigung verlangte er von seinem Arbeitgeber, die Tonbeiträge mit Untertiteln zu versehen.
Dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Januar 2017, Az. 20 Sa 956/16) zufolge lag in der Unterlassung des Arbeitgebers, dem Kläger die Programminhalte zugänglich zu machen, eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung im Sinne von § 7 Abs. 1 AGG. Das LAG entschied, dass die Beklagte gewährleisten muss, dass der Kläger Zugang zu den Audio-Inhalten erhält und verurteilte sie außerdem zur Zahlung einer Entschädigung.
Besonderer Kündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen
Dem zuvor erwähnten Bericht der ADS zufolge äußern schwerbehinderte Beschäftigte häufig die Befürchtung, durch ihren Arbeitgeber gekündigt zu werden und im Anschluss keine Stelle mehr zu finden. Bevor eine Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers wirksam wird, bedarf es laut § 168 SGB IX jedoch der Zustimmung des Integrationsamtes. Dabei wiegt das Integrationsamt die Interessen des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner betrieblichen Gestaltungsmöglichkeiten mit denen des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes ab.
Diskriminierung wegen einer Behinderung: So sollten Sie vorgehen
Wenn Sie das Gefühl haben, am Arbeitsplatz wegen Ihrer Behinderung benachteiligt zu werden, sollten Sie nicht lange zögern, sondern von Ihren Rechten Gebrauch machen. In manchen Fällen kann bereits ein klärendes Gespräch mit Ihrem Arbeitgeber,in dem Sie ihn mit Ihrem Problem konfrontieren, helfen. Sollten Sie damit keinen Erfolg haben, können Sie Ihr Beschwerderecht nutzen. Ihre Beschwerde können Sie an ein Mitarbeitergremium richten – wie beispielsweise den Betriebsrat oder eine Beschwerdestelle in Ihrem Betrieb.
Wenn auch eine offizielle Beschwerde nicht zur Besserung führt, können Sie klagen. Dabei sieht das AGG eine sogenannte Beweislastumkehr vor: Sobald Indizien für eine Diskriminierung vorliegen, muss der Arbeitgeber beweisen, dass diese nicht stattgefunden hat. Zunächst einmal müssen Sie also Tatsachen vorlegen, die auf eine Benachteiligung hindeuten. Dabei ist es ratsam, die Vorgänge genau zu protokollieren. Hierbei können beispielsweise E-Mails, Gesprächsnotizen und Zeugenaussagen hilfreich sein. Auf diese Weise kann der Sachverhalt später bei Gericht besser nachvollzogen werden.
Denken Sie auf jeden Fall an die Fristen, die es bei einem rechtlichen Vorgehen zu beachten gibt. Im Falle einer Diskriminierung am Arbeitsplatz müssen Sie Ihre Ansprüche auf Entschädigung bzw. Schadensersatz nach dem AGG innerhalb von zwei Monaten bei Ihrem Arbeitgeber schriftlich geltend machen. Wurde Ihnen gekündigt, bleiben lediglich drei Wochen Zeit, um dagegen mit einer Kündigungsschutzklage vorzugehen.
Beitrag geprüft von
Rechtsanwalt Philipp Caba**
Philipp Caba ist ein erfahrener Rechtsanwalt mit Schwerpunkt auf Zivil-, Bank- und Versicherungsrecht. Er studierte in Deutschland und Schweden und ist seit 2020 Vorstand der Gansel Rechtsanwälte Rechtsanwalts AG.
* Angestellte Anwälte, ** Vorstand, *** Freischaffende Rechtsanwälte